Die Ökonomie von Krieg und Frieden
In ehemaligen Bürgerkriegsgebieten ist es wahrscheinlich, dass eine weitere Gewaltwelle die wirtschaftliche Entwicklung erneut unterbrechen wird: In fast allen 40 Ländern, in denen nach dem Jahr 2000 ein bewaffneter Konflikt aufgeflammt ist, hatte es in den drei Jahrzehnten davor bereits Bürgerkrieg gegeben. Staaten wie Afghanistan sind regelrecht gefangen in einem Teufelskreis aus Konflikt und Wirtschaftskrise.
Konfliktursachen: Leid und Gier
Während bewaffnete Konflikte zweifelsohne negative ökonomische Konsequenzen haben, lässt sich nicht mit gleicher Klarheit bestimmen, in welchem Grad und auf welche Art wirtschaftliche Faktoren im Allgemeinen zu Bürgerkriegen oder ähnlichen gewaltsamen Auseinandersetzungen führen. Manche Konflikte werden von wirtschaftlich Benachteiligten und politisch Machtlosen initiiert, andere von den verhältnismäßig Privilegierten. So komplex und spezifisch das Ursachengefüge in jedem einzelnen Konflikt auch sein mag, Wirtschaft und Wohlstand spielen so gut wie immer eine Rolle.
Hohe Armutsraten, starke Lohnunterschiede sowie Eigentums- und Reichtumskonzentration wirken häufig destabilisierend, wie Statistiken und Länderbeispiele zeigen – etwa Burundi oder die Demokratische Republik Kongo, wo in den 90er-Jahren blutige Bürgerkriege ausbrachen. Diese zwei bekannten Beispiele stehen für viele weitere Konflikte, denen in Europa wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde; in zwei Drittel der am wenigsten entwickelten, also der ärmsten Länder dieser Welt wüteten seit 1990 Bürgerkriege. Macartan Humphreys zeigt in seinem 2002 erschienen Artikel folgende Zusammenhänge: In Staaten mit einem BIP pro Kopf von nur 250 USD herrscht eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein bewaffneter Konflikt ausbricht. Ist das BIP pro Kopf dagegen bei immer noch niedrigen 1250 USD, liegt das Risiko nur mehr bei 4 Prozent.
Neben extremer absoluter Armut sind ökonomische Ungleichheit zwischen Gruppen innerhalb eines Landes, Staatsversagen sowie individuelle Bereicherungsmöglichkeiten durch Unruhen die wichtigsten wirtschaftlichen Ursachen für den Ausbruch bewaffneter Konflikte.
“Relative Enteignung” oder “horizontale Ungleichheit” wird der Zustand genannt, wenn bestimmte religiöse oder ethnische Gruppen innerhalb eines Landes sich Hindernissen beim Zugang zu Jobs und Assets (wie Land, Kredite und Bildung) oder zu politischer Macht gegenübersehen. Diese Asymmetrie und die Leiderfahrungen der Marginalisierten sind ein starker Antrieb zum Kampf, besonders wenn eine Gruppe von einer anderen Gruppe sowohl wirtschaftlich als auch politisch benachteiligt wird. Ob ein schwelender Konflikt dann eskaliert und bewaffnet ausgetragen wird, so wie zuletzt in Libyen und Syrien, hängt oft von der Reaktion der MachthaberInnen ab. Begegnen sie den anfangs oft noch friedlich Protestierenden mit Gewalt, ist eine weitere Eskalation wahrscheinlich.
Zu Protesten gegen die Regierung kommt es auch häufig, wenn ein Staat (in dem es keine eklatanten Ungleichheiten zwischen Gruppen geben muss) seine Aufgaben nicht mehr erfüllt, es nicht schafft, Wirtschaftskrisen adäquat entgegenzusteuern und in weitere Folge kaum oder keine Leistungen mehr für seine Bevölkerung erbringt. In Ländern mit schwachen oder nicht ausreichend legitimierten Institutionen kann eine solche Situation schnell in einen bewaffneten Konflikt oder Bürgerkrieg ausarten.
Doch nicht nur unterprivilegierte und arme, sondern auch relativ wohlhabende Gruppen können Konflikte anstiften, wie das im langjährigen Bürgerkrieg im Sudan der Fall war. Wirtschaftliche Motivation vermischte sich mit regionalen und ethnischen Disparitäten, als der reichere muslimische Norden gegen den ärmeren christlichen Süden den Kampf aufnahm, um seine ökonomische und politische Vorherrschaft zu wahren.
Die Ausweitung des eigenen Wohlstands spielte in vielen anderen Konflikten eine tragende Rolle. Der Oxford-Professor und ehemalige Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, Paul Collier, betont dies in seinen gleichermaßen einflussreichen wie kontrovers diskutierten Studien. Er spricht von Gier als wichtigster Ursache für Bürgerkrieg und meint, sie sei relevanter als Leid und Ungleichheit. Das Ziel von RebellenführerInnen ist, sich zu bereichern; für ihre Zwecke instrumentalisieren sie KämpferInnen aus objektiv benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die so gut wie nichts zu verlieren haben.
Rohstoffreichtum verlängert Konflikte
In rohstoffreichen Ländern oder Regionen treten bewaffnete Auseinandersetzungen vermehrt auf und dauern üblicherweise länger. Erlöse aus dem Verkauf von Öl, Edelsteinen oder Metallen finanzieren Waffen und Kämpfer – ob in Form von Steuern auf Seite der Regierungen oder illegal erwirtschafteter Profite auf jener der Rebellen. Für die Rebellen ist der ökonomische Anreiz zur Beendigung des Konfliktes oft gering, weil sie sich durch den Krieg individuell bereichern können. Im westafrikanischen Sierra Leone etwa, einem Diamantenexporteur und gleichzeitig einem der ärmsten Länder weltweit, dauerte der Bürgerkrieg über zehn Jahre, von 1991 bis 2002. Die Friedensverhandlungen kamen erst zu einem positiven Ende, als dem damaligen Rebellenführer der Posten des Ministers für Bergbau zugesagt wurde.
Um dauerhaften Frieden in rohstoffreichen und dennoch armen Ländern zu sichern, sind einerseits der Aufbau starker und transparenter staatlicher Institutionen sowie andererseits Investitionen in die sozioökonomische Entwicklung des Landes notwendig. Europa kann diesen Prozess durch Entwicklungszusammenarbeit unterstützen, aber auch, indem es den Handel mit illegalen Konfliktmineralien unterbindet und potentielle Importeure verpflichtet, die Herkunft der Waren sowie die Risiken in den Lieferketten genauestens zu prüfen. Ein erster wichtiger Schritt wäre jedenfalls, zumindest auf destabilisierende Praktiken wie Landgrabbing oder den Verbrauch von knappen Wasserressourcen durch internationale Konzerne zu verzichten.
Gerade weil die wirtschaftlichen Verflechtungen in jedem Konflikt so unterschiedlich und in einen jeweils spezifischen politischen Kontext eingebettet sind, ist es für Konfliktprävention und -bewältigung notwendig, diese Kontexte zu verstehen. Eine Blaupause gibt es nicht.
Seit kurzem erkennen die Vereinten Nationen Frieden als eine Art globales öffentliches Gut an. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich im Jahr 2015 alle Staaten verpflichtet, sich für den Frieden einzusetzen. Frieden wird darin nicht als isoliertes “nachhaltiges Entwicklungsziel” dargestellt, sondern wird in direkter Verbindung mit gerechten, inklusiven Gesellschaften gesehen. In derselben Charta wird auch die Reduktion wirtschaftlicher Ungleichheiten innerhalb der und zwischen den Ländern bis zum Jahr 2030 angestrebt. Dass Umverteilung stabilisierend wirkt, ist zumindest für die Vereinten Nationen unbestritten.
Sonia Ni?nik berät die Grünen in entwicklungspolitischen Fragen.